Sternstunden im Gericht

Statement der Beratungsstelle Frauennotruf Frankfurt zum Gerichtsverfahren in Avignon

Das Gerichtsverfahren gegenüber 50 Angeklagten, denen über 200fache Vergewaltigung an einer bewusstlosen inzwischen 72-Jährigen vorgeworfen wird, macht Mut.

Warum? Erstmal ist das Geschehen ungewöhnlich - in seiner Dimension, aber auch darin, dass so viele Beschuldigte angeklagt werden konnten. Ungewöhnlich, nein beindruckend ist auch Gisèle Pelicot. Sie zeigt großen Mut, und den hat sie sich sicher hart erarbeitet, indem sie sich dem Verfahren, der Öffentlichkeit, ihrem Ex-Mann und seinen Mit-Tätern stellt. Sie wollte eine öffentliche Verhandlung, spricht mit der Presse, redet über ihre Gefühle im Gericht. Nun setzt sie durch, dass die Videos und Aufnahmen der Taten im Verfahren öffentlich gezeigt werden. Lässt sich „beeindrucktsein“ steigern? Ja eindeutig.

Als Motiv benennt sie, für alle Frauen, die unter Drogen gesetzt werden und nichts darüber wissen, was mit ihnen im Anschluss geschah, sprechen zu wollen.

Gisèle Pelicot erhält laut der Medien viel Unterstützung. Das ist ungewöhnlich. Die meisten vergewaltigten Frauen können nicht mit öffentlicher Unterstützung rechnen.

In vielen Verfahren, in denen es um Vergewaltigung geht, behaupten Angeklagte, sie seien unschuldig und ohne Verantwortung, verführt. Das Ganze sei auch von den Frauen gewollt und freiwillig gewesen.

Mit diesen Vorwürfen wurde und wird auch Frau Pelicot konfrontiert. Verteidiger müssen nachfragen, sie können es jedoch erträglich oder widerlich tun. Gisèle Pelicot äußerte, dass sie sich durch viele Fragen erniedrigt und gedemütigt gefühlt habe. In dem Verfahren ist die Beweislast eindeutig, weil so viele Aufnahmen vorliegen. Es ist nun Sache des Gerichts dazu beizutragen, dass sich Frau Pelicot als Opfer im Verfahren nicht beschämt und gedemütigt fühlen muss.

Es ist auch eine wichtige Aufgabe des Gerichts, sich nicht mit vorgeschobenen Argumenten zufrieden zu geben. Sondern die Motive der Täter zu enthüllen. Eine der zentralen Fragen lautet: Was bringt einen Mann dazu, eine bewusstlose Frau zu vergewaltigen? Die Antwort wird nicht nur Frau Pelicot hören wollen, von ihrem Ex-Mann, von den anderen über 50 Angeklagten. Bisher kommen eher dreiste und die Zeugin verletzende Antworten.

Wir alle wollen die Gründe wissen. Frau Pelicot ist kein Einzelfall, Vergewaltigung unter Drogen oder sog. K.O. Mitteln ist leider keine Ausnahme. Zu wünschen ist, dass sich das Gericht nicht mit „ich weiß nicht wie das geschehen konnte“ oder „mir wurden sicher auch Drogen verabreicht“, „ich dachte sie will das“ zufrieden gibt. Sondern nachfragt, es genau wissen will. Richter und Richterinnen sollen die Wahrheit erforschen. Dazu gehört auch die wahre Motivation des oder der Täter. Das Gericht mutet sich und allen Prozessbeteiligten viel zu. Aber das ist das Mindeste was Frau Gisèle Pelicot erhalten muss. Antworten die möglichst nahe an der Wahrheit liegen.

Vermutlich werden sich die Angeklagten scheuen diese zu äußern. Denn welcher Angeklagte würde die „Wahrheit“ vor sich selbst und seinem sozialen Umfeld  aussprechen?

Zweifelsfrei geht es darum mit einem anderen Menschen etwas zu tun, woran die Person sich nicht erinnern kann und wozu sie nicht eingewilligt hat. Zweifelsfrei geht es auch um Machtausübung, Lust an der Unterwerfung, Erniedrigung und Überlegenheit. Sowie der Sicherheit dabei straflos zu bleiben. 

Das Gericht in Frankreich ist sich sicher bewusst, dass der Verlauf und Ausgang dieses Verfahrens genau beobachtet und weltweit kommentiert wird. Die Urteile können dazu führen, dass sich mehr Betroffene von Vergewaltigung an die Strafverfolgungsbehörden wenden. Nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland und anderen Ländern.

So kann aus einem solchen Verfahren, nicht nur durch den Mut einer einzelnen Frau, Ermutigung für andere Betroffene entstehen. Gisèle Pelicot weiß worauf es ankommt:

„Die Scham muss die Seite wechseln“.